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Titel
The Iter Italicum and the Northern Netherlands. Dutch Students at Italian Universities and their Role in the Netherlands' Society (1426-1575)


Autor(en)
Tervoort, Ad
Reihe
Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 21
Erschienen
Anzahl Seiten
438 S., zzgl. CD-Rom
Preis
€ 166,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephanie Irrgang, Tönissteiner Kreis e.V., Berlin

Universitätsgeschichte ist zur Personengeschichte geworden. Regionale und exemplarische, auf eine spezifische Personengruppe durchgeführte prosopografische Studien zur Wechselbeziehung zwischen Studium und Karriere sind von erkenntnisleitender Bedeutung für die substanzielle Weiterentwicklung einer innovativen europäischen Universitätsgeschichte. Längst hat sich die Universitätsforschung von einer traditionsgeleiteten Institutionengeschichte emanzipiert und begreift das Phänomen europäischer Universitäten als Erscheinung der Sozial- und Geistesgeschichte, die eine Konzentration auf die strukturellen Bedingungen des Ortes, auf Personengruppen, Fragen der regionalen und sozialen Herkunft, Pfründen und Karrierewege einfordert. Dabei stehen die Interdependenz zwischen Universität und Gesellschaft, das filigrane Netz sozialer Kontakte, das Innenleben der Universitäten und die Karrieremechanismen im Mittelpunkt. Um jedem Individuum und seinem Lebensweg gerecht zu werden, bleibt es dabei aber stets zwingend, die zu untersuchende Personengruppe möglichst klein zu halten.

Ad Tervoort hat sich in seiner am Europäischen Hochschulinstitut Florenz entstandenen Dissertation mit der Mobilität von 640 niederländischen Studenten aus den nördlichen Provinzen Holland, Seeland, Friesland, Geldern und der Diözese Utrecht beschäftigt und deren Italienaufenthalte und spätere Karrieren in der Heimat untersucht. Der Zeitraum zwischen 1426 und 1575 orientiert sich an den Gründungsdaten der niederländischen Universitäten Löwen und Leiden. Die soziale und regionaler Herkunft dieser Italienheimkehrer, ihre Wege an den jeweiligen italienischen Universitäten und ihre Verweildauer, der Stadt-Land Unterschied ihrer Herkunft in Bezug auf das Mobilitätsverhalten, Kostenfaktoren und Karriereoptionen werden analysiert. Die Universitätsmatrikeln und Graduiertenlisten stellen das zentrale Quellenkorpus dar, aber auch ergänzende andere Quellen wurden herangezogen, um das intellektuelle Umfeld der Studenten besser konturieren zu können.

Zunächst stellt Tervoort die peregrinatio academica an sich dar, die Gesetzmäßigkeiten der zurückgelegten Wege, die Zieluniversitäten in Italien, fragt nach Mobilitätsabsichten, Aufenthaltsdauer, Altersstrukturen, frequentierten Fakultäten und Themenschwerpunkten. Seine Ergebnisse decken sich mit den Befunden, wie sie in den letzten Jahren in der Universitätsforschung erhoben worden sind.1 Der Wechsel nach Italien blieb exklusiv und einer ausgewählten, sozial gutgestellten Personengruppe vorbehalten. In der Regel durchliefen die mobilen Niederländer ihre Elementarausbildung noch in der Heimat und wechselten dann für den Magister nach Köln oder Löwen. Erst nach einer eingehenden fachlichen Spezialisierung in den höheren Fakultäten war der Zeitpunkt für einen Wechsel nach Italien gekommen. So hielten sich auch vornehmlich Juristen und Mediziner in Italien auf, wenn sie nicht doch eher zu der angesehenen ausländischen Universität Orléans tendierten. Auf nordniederländische Graduierte übten die Universitäten Padua, Bologna und Ferrara eine kontinuierliche Faszination aus. Auch Siena gehörte zu den bevorzugten Zielorten. Je nach politischer Situation in Italien verschoben sich aber die regionalen Prioritäten. Die peregrini überwanden meist in Kleingruppen die weiten Distanzen zwischen ihrer Heimat und Italien. Als Gradmesser für den Erfolg des Iter Italicum gilt die Graduierung, und Tervoort erbringt den Nachweis, dass fast alle einen akademischen Grad – meist sogar den Doktortitel – erworben haben. Sie brachten demnach eine hohe akademische Reputation mit zurück in ihre Heimat, in der sie nach durchschnittlich vier Jahren im Alter von Ende 20 wieder eintrafen. Der Italienaufenthalt war der Höhepunkt einer individuellen Karriere, hatte karrierebeschleunigende Wirkung und blieb sozial selektiv. Keinesfalls war er Ausdruck eines kurrikularen Automatismus.

Die Analyse, inwieweit die geografische Herkunft eine Mobilitätsentscheidung beeinflusst hat, fördert folgende Ergebnisse zutage: Die nordniederländischen Universitätsbesucher in Italien weisen vornehmlich eine städtische Herkunft aus wirtschaftlichen starken Regionen auf. Die größte Gruppe stammte aus Holland, einer weitgehend urban geprägten Provinz. Die dort beheimateten Studenten konzentrierten sich meist auf die Universität Ferrara und studierten dort Jura und Medizin. Auch die Studenten aus Seeland, Groningen und der Diözese Utrecht stützen die These, dass Mobilität eher ein städtisches Phänomen war. Aus den ländlicheren Provinzen Geldern, Overijssel und Friesland stammten demnach weniger Universitätsbesucher. Diejenigen, die aus dem Herzogtum Geldern einen Hochschulortwechsel nach Italien vollzogen, stammten dann aus Nijmegen. Die Juristen aus Friesland waren nach der Rückkehr in ihre Heimat sehr einflussreich. Schon im 13. Jahrhundert sind friesische Scholaren in Bologna nachweisbar.

Die Exklusivität eines Italienaufenthaltes sowie der hohe Kostenfaktor einer Reise und der Promotion in einer prestigeträchtigen italienischen Universität lenken das Interesse auf Fragen nach der sozialen Herkunft. Tervoort kann feststellen, dass trotz der enormen Kosten nicht ausschließlich von einer adeligen und reichen bürgerlichen Besucherschaft auszugehen ist. Vor 1480 sind unter der Stichprobe zahlreiche pauperes zu finden. Nach 1500 stieg die Zahl der adeligen Besucher aber auf fast 20 Prozent. Die bürgerlichen Universitätsbesucher entstammten den urbanen Regionen Hollands, Utrechts und Groningens. Die adeligen Besucher waren eher in den ländlichen Provinzen beheimatet. Immer wieder sind ganze Familiendynastien in den Matrikeln identifizierbar. Zur Finanzierung der Kostenbelastungen dienten vornehmlich kirchliche Pfründen, Stipendien und Lehraufträge in Italien, die aber nicht sehr beliebt waren. Vereinzelt sind auch ungewöhnlichere Finanzierungsmodelle in Form von Nebentätigkeiten rekonstruierbar.

Die gelehrten Karrieren der Italienheimkehrer verliefen äußerst erfolgreich. Dabei weisen sie kein einheitliches Berufsprofil auf, sondern finden sich in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schlüsselpositionen. Den nordniederländischen Graduierten standen Karrieren in der Kirche, im städtischen Medizinalwesen, in der Verwaltung, im städtischen Rat, dem Staatsdienst, in der Gerichtsbarkeit und an Universitäten offen. Besonders die Gerichtsbarkeit wurde zum zentralen Betätigungsfeld und verdrängte im 15. Jahrhundert sukzessive die klassischere kirchliche Karriere. Hierbei waren nicht mehr nur die städtischen Positionen attraktiv, sondern gleichermaßen die Provinzgerichte. Dies unterstreicht den hohen Grad der gesellschaftlichen Akademisierung und Professionalisierung der Niederlande. Der Erfolg einer Karriere nach dem Iter Italicum hing wesentlich vom Zusammenklang zwischen Herkunft, Studium und Mobilität ab. Der erworbene akademische Grad war entscheidender als der Italienaufenthalt an sich und wurde immer stärker zur formalen Qualifikationsvoraussetzung. Besonders juristische Spezialkenntnisse waren gefragt. In diesem Zusammenhang lösten die Universitäten Padua oder Siena nach 1500 die alte, überragende Bedeutung Bolognas ab. Letztlich entschieden das dichte Beziehungsnetz und die personelle Verflechtung innerhalb eines Kommunikationsraumes über den Karriereverlauf. Ohne Netzwerke trug kein Studium den Graduierten in eine adäquate Laufbahn oder ermöglichte den sozialen Aufstieg für mehrere Generationen. Der Universitätsbesuch in Italien förderte neben der fachlichen Eignung wesentlich die Kontaktpflege. Die Italienaufenthalte beförderten generell auch den akademischen Austausch zwischen den Niederlanden und Italien, brachten das Gedankengut der Renaissance, humanistische Texte, die Rezeption der Antike und des römischen Rechts sowie moderne medizinische Kenntnisse in die Niederlande. Die Graduierten fungierten als Mediatoren des Humanismus.

Viele Ergebnisse Tervoorts überraschen nicht und sind vergleichbar mit prosopografischen Studien zu anderen Universitäten und Räumen. Aber die Erkenntnis, dass die peregrinatio academica nach Italien für die Niederlande nicht nur juristisch geprägt war, sondern wesentlich das niederländische Medizinalwesen betraf, macht die Studie besonders wichtig. Jeder Lebenslauf liegt der Monografie praktikabel auf CD-ROM bei, die individuellen Motivationen der Graduierten, den weiten Weg nach Italien auf sich zu nehmen, werden darin aber ebenso wenig abgebildet wie Brüche und Sackgassen einer Karriere. Solche Untersuchungen müssen anderen Personengruppen und Regionen vorbehalten bleiben und dürfen mit Spannung erwartet werden.

Anmerkung:
1 Vgl. stellvertretend: Schmutz, Jürg, Juristen für das Reich. Die deutschen Rechtsstudenten an der Universität Bologna 1265-1425, 2 Bde., Basel 2000; Irrgang, Stephanie, Peregrinatio Academica. Wanderungen und Karrieren von Gelehrten der Universitäten Rostock, Greifswald, Trier und Mainz, Stuttgart 2002 (in H-Soz-u-Kult rezensiert unter: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-1-162) ; Gramsch, Robert, Erfurter Juristen im Spätmittelalter. Die Karrieremuster und Tätigkeitsfelder einer gelehrten Elite des 14. und 15. Jahrhunderts, Leiden 2003 (in H-Soz-u-Kult rezensiert unter: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-1-081).

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